Die blaue Rose

Fassung von Ute Hommel auf maerchenbrunnenostalb

 

In China lebte einmal ein Kaiser, der hatte eine Tochter, die war so schön wie sonst keine im Land. Ihre Haut war so weiß wie feinstes Porzellan und ihre Lippen leuchteten so rot wie Kirschen. Dabei war sie auch noch über die Maßen klug. Sie konnte die Gelehrten und die Philosophen ihres Landes zitieren und ihre Stimme klang so süß wie die der Nachtigall. Zum großen Kummer des Kaisers wollte sie jedoch nicht heiraten.

„Ich würde mich gern noch an meinen Enkelkindern erfreuen, bevor ich sterbe!“ meinte er. Und da er so betrübt war und sie ihren Vater liebte wie er sie, willigte sie ein endlich zu heiraten. Sie stellte jedoch eine Bedingung: „Ich will nur den Mann heiraten, der mir eine blaue Rose bringt!“ sagte sie.

Der Kaiser ließ nun die Botschaft im ganzen Land verkünden und es meldeten sich auch viele Bewerber. Als sie jedoch von der Bedingung hörten, bekamen sie lange Gesichter. „Wer hat je von einer blauen Rose gehört?“ meinten sie und gingen wieder nach Hause. So blieben nur drei Bewerber übrig, die ihr Glück versuchen wollten.

Der erste war ein reicher Kaufmann. Er ging in den Basar zum größten Händler und wies ihn an, die blaue Rose zu besorgen. „Von einer blauen Rose habe ich noch nie gehört!“ meinte der Händler. „Besorge sie, und ich will dich reich belohnen. Kannst du sie nicht besorgen, so wird es dein Tod sein!“ befahl der Kaufmann. Der Händler versprach sein Bestes zu geben und nach drei Wochen brachte er eine Rose, die ganz in Gold und mit kostbaren Juwelen gefertigt war. Der Kaufmann ging damit zum Palast und wurde auch sogleich zum Kaiser vorgelassen. Der Kaiser bewunderte die kostbare Arbeit und ließ dann seine Tochter rufen. „Nun meine Tochter, ist das die blaue Rose, die du willst?“ „Das ist eine künstliche Rose! Edelsteine habe ich schon genug!“ meinte die Prinzessin und wies den Freier ab.

Der zweite war ein mächtiger Kriegsherr. Er hatte gehört, dass der Fürst des Nachbarlandes über eine Schatzkammer verfügte voll mit den seltensten und kostbarsten Schätzen. Es rüstete also ein Heer, zog ins Nachbarland und vor die Tore des fürstlichen Palastes. Dort ließ er dem Fürsten erklären, er wolle nur ein Stück seiner Schatzkammer. Bekäme er es, wolle er abziehen, bekäme er es aber nicht, so wolle er das Land mit Krieg überziehen. Der Fürst war ein friedliebender Mann, der keinen Krieg wollte. Er ließ den Kriegsherrn also ein und führte ihn selbst in seine Schatzkammer. Tatsächlich fand sich unter den Schätzen ein herrliches Mosaik mit einer Rose. Es war eine rote Rose, aber der Kriegsherr ließ die roten Steine durch blaue ersetzen und zog mit seinem Heer ab. Er ging mit seiner Beute zum Kaiser und wurde auch sogleich vorgelassen. Der Kaiser bewunderte das wunderbare Bild und ließ seine Tochter rufen. „Nun meine Tochter, ist das die blaue Rose, die du willst?“ „Es ist ein wunderschönes Mosaik und wert, in einem Palast zu hängen,“ sagte sie, „aber es ist keine blaue Rose.“ So musste auch der Kriegsherr abziehen.

Der dritte war ein wichtiger Minister des Kaisers. Er hoffte, der Auserwählte zu sein und nach dem Tod des Kaisers an dessen Stelle regieren zu können. Er ließ den besten Künstler des Landes kommen und beauftragte ihn, das schönste Gefäß zu fertigen, das er je gemacht habe und darauf eine blaue Rose zu malen. Der Künstler brauchte 6 Monate und dann hatte er das schönste Gefäß gefertigt, das es gab. Der Minister eilte damit zum Palast und wurde auch sogleich vorgelassen. Der Kaiser bewunderte das schöne Gefäß mit der herrlichen Rose und ließ seine Tochter rufen. „Nun meine Tochter, ist dies die Rose, die du willst?“ fragte er. „Es ist das schönste Gefäß, das ich je gesehen habe. Ich will es behalten und die blaue Rose hineinstellen.“ Und so musste auch der Minister abziehen ohne sein Ziel erreicht zu haben.

Da kam ein Spielmann in die Stadt gezogen. Er hatte noch nie von der Kaisertochter und ihrer blauen Rose gehört. Er war arm und wusste nicht, wo er die Nacht über bleiben sollte. Also setzte er sich an den Fluss unterhalb der Palastmauern. Die Abendsonne tauchte alles in ein goldenes Licht und er begann auf seiner Laute zu spielen. Da öffnete sich eine Tür in der Mauer und eine Frau trat heraus, die war so schön, wie er noch nie eine gesehen hatte. Sie setzte sich zu ihm, lächelte ihn an, hörte ihm zu und sang mit einer Stimme, die so süß war wie die der Nachtigall. So verbrachten sie die ganze Nacht und wenn sie nicht sangen und spielten, dann flüsterten und lachten sie. So verging die Nacht wie silberner Nebel. Wie erstaunt waren sie, als der Morgen graute.

„Ich will zu deinem Vater gehen und um deine Hand anhalten, denn ich habe dich lieb gewonnen“, meinte der Spielmann. „Ich habe dich auch lieb gewonnen. Aber ich bin die Tochter des Kaisers und habe gelobt, nur den zu heiraten, der mir eine blaue Rose bringt!“ Da lachte der Spielmann: „Das ist leicht. Ich werde noch heute zu deinem Vater kommen.“
Als er zum Palast kam, hatte er eine wunderschöne weiße Rose in der Hand. Zuerst wollte man ihn gar nicht zum Kaiser vorlassen, aber er bestand darauf. Der Kaiser wollte seine Tochter gar nicht rufen lassen, allein der Spielmann bestand auch hier darauf. Als die Prinzessin eintrat und die Rose sah, freute sie sich und sagte: „Was für eine schöne blaue Rose!“

Der Hofstaat tuschelte und der Kaiser runzelte die Stirn. Ein Spielmann war nicht das, was er sich für seine Tochter gewünscht hatte. Da er aber seine Tochter liebte und sah, dass sie glücklich war, so nannte er die Rose ebenfalls blau und erlaubte die Heirat. Er ließ einen Palast bauen für die beiden genau an der Stelle am Fluss, wo sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Dort besuchte er die beiden oft. Nicht nur, weil er seine Tochter gern hatte, sondern auch, weil er die Musik seines Schwiegersohns so liebte.